Ein Leierkasten und Jazz ? Der Pariser Drehorgel-Spezialist Pierre Charial bietet in seinem Online-Shop unter anderem Titel von Louis Armstrong, Dizzy Gillespie, Glenn Miller und Dave Brubeck – als Software für Leierkästen, das heisst als Lochstreifen, gestanztem Karton oder durchlöchertem Papier, je nach System. Seit 1987 hat er über ein Dutzend CDs veröffentlicht – unter anderem mit Kompositionen von Ligeti, Mozart und Haydn. Für seine Debütplatte „Hors Gabarit“ adaptiert er 1985 unter anderem Chick Coreas „Spain“ und Mike Mainieris „Oops“, in Zusammenarbeit mit Martial Solal entstand das „Pièce de rechange pour orgue mécanique“. Trotzdem ist der Leierkasten bzw. die Drehorgel in Frankreich noch immer die „Orgel der Barbarei“. Immerhin: Allein die Drehorgel erlaubt es, die Dauer eines Tons exakt zu kontrollieren. Sie ermöglicht sowohl skurril-polyphonische Klangflächen als auch filigrane, cluster-artig verschränkte Klangkombinationen. Auf dieser CD spielt Charial ein 42-töniges Instrument des Drehorgelbauers André Odin mit 114 Pfeifen im Tonumfang von drei Oktaven. Das „barbarische“ Instrument korrespondiert perfekt mit dem Trio des Saxophonisten Nicolas Montier (mit dem Pianisten Stan Laferrière und dem Bassisten Pierre Maingourd). Charial ist weit mehr als ein „Kurbeldreher“, er ist vielmehr gleichberechtigter Interpret und variiert die Töne seines Instruments bereits durch die Drehbewegung der Kurbel. Selbst der Klassiker, „Gone with the wind“ klingt so aufregend neu. „Tom“ ist eine Eigenkomposition von Nicolas Montier. Höhepunkte sind zweifelsohne Chick Coreas „Armando´s rhumba“ und Duke Ellingtons „Come sunday“.
Rainer BRATFISCH – JAZZ PODIUM
Rainer BRATFISCH – JAZZ PODIUM